WiWi Gast schrieb am 18.02.2019:
Die Einstellung "die Besten sein zu wollen" hat Deutschland einst im Maschinenbau und der Ingenieurskunst groß gemacht - all die Themen, die damals industriell von Bedeutung waren, hat Deutschland mit geprägt. Sogar bei den Röhrenfernsehern war man noch vorne dabei.
Seit sich das Blatt der Zeit allerdings gewendet hat und neue Techniken und neue Trends Einzug halten, kriegt Deutschland einfach nichts mehr auf die Reihe. Die Einstellung in irgendeinem Bereich führend sein zu wollen, ist weg bzw. dafür wird nichts getan und die Erfolge auf denen man sich ausruht, bröseln nach und nach weg.
Digitalisierung wurde verschlafen und scheinbar hat die Regierung auch keinen Bock, daran was zu ändern. Grundlegendes Interesse an zukunftsträchtigen IT-Themen wird in der Schule nach wie vor nicht vermittelt, Netz- und Breitbandausbau ist in Deutschland so schlecht, dass teilweise neue Techniken wie autonomes Fahren oder Uber gar nicht bzw. nicht richtig eingesetzt werden könnten und dem Pioniergeist wird durch unnötige Bürokratie ein Strich durch die Rechnung gemacht.
Überspitzt formuliert kann man definitiv sagen, dass Deutschland - als wirtschaftliches Spitzenland - die vierte industrielle Revolution verschlafen hat und nun von anderen Ländern abgehängt wird bzw. droht, sich von anderen Ländern überholen zu lassen.
Der Großteil der Gesellschaft sieht darin allerdings kein Problem, weil es uns bis jetzt hervorragend geht und es uns auch in Zukunft noch gut gehen wird. Leider gliedert sich unsere Gesellschaft in den größten Gruppen auf in
- a) konservative Leute, die mit neuer Technik und digitalem Wandel nichts anfangen können oder wollen
- b) hippe Grünen-Wähler, die sich nur noch mit der Rettung des Planeten beschäftigen und die Wirtschaft am liebsten abschaffen wollen
- c) Leute, deren Lebensinhalt der H*ss gegen Ausländer ist
Digitalisierung, wirtschaftliche Entwicklung, passende Subventionierungen etc. p.p. sind halt einfach Themen, die maximal 10% der Bevölkerung interessieren. Leider hat dann die FDP, die wohl einzige Partei, die weiß, dass Politik nicht nur aus Gleichberechtigung und Umweltschutz besteht, nicht mal 10 % in den Umfragen. Die Partei, die mit Abstand am fähigsten ist, Deutschland nach wie vor konkurrenzfähig zu halten, findet einfach keine Beachtung.
Jeglicher Nationalstolz ist in der jüngeren Generation verloren gegangen. Was juckt es den Durchschnittsbürger, wie Deutschland in Zukunft da steht? Spielt doch keine Rolle. Kann mir die ganze neue Technik ja auch von den asiatischen und amerikanischen Unternehmen genauso kaufen. Und unsere Regierung verhält sich 1:1 genauso. Hauptsache das böse Deutschland, das 2 Kriege angezettelt hat, verärgert die anderen nicht und tanzt in 2. Reihe.
Hört sich jetzt alles so pessimistisch an - natürlich wird es unserer Generation weiterhin sehr gut gehen. Wir stehen nach wie vor mit vielen Branchen hervorragend da und sind auch wissenschaftlich nicht schlecht aufgestellt. Aber wie sieht es in 100, 200, 300 Jahren aus? Wenn es vielleicht gar keine Autos mehr gibt und kaum mehr Maschinenbau?
Stand jetzt hat Deutschland da massiv an den falschen Schrauben gedreht und ist leider auch nicht bereit, sich Fehler einzugestehen und diese auszubessern.
Meine Ur-Enkel werden im Jahr 2120 in einem Deutschland leben, das weltwirtschaftlich so einflussreich und bedeutend ist, wie es jetzt Polen oder Tschechien sind.
Es ist typisch deutsch alles so schwarz zu sehen wie du es tust. Es ist auch typisch deutsch anderen deutschen zu erzählen was typisch deutsch ist - so wie ich es gerade hier mache. Aber was will man tun, es ist halt unser Metier.
Du sprichst aber von Zeiten vor 50 Jahren (oder gar weniger) in denen angeblich alles roßig war und wie steil bergab doch alles geht. Du versuchst die Zukunft vorher zu sagen in 100 oder 200 Jahren. Schau doch mal wie sehr sich die Welt und auch Deutschland in weit weniger Jahren verändert haben - wie willst du da ernsthaft die Zukunft vorhersagen?
Ist Deutschland an der Spitze der Digitalisierung? Nein ganz sicher nicht, aber vielleicht muss das auch gar nicht sein? Wir hinken nicht hinterher, wir sind im oberen Mittelfeld. Vielleicht ist das zu wenig, vielleicht aber auch nicht? Unsere Staatsverschuldung ist im internationalen Vergleich gar nicht so wild und seit Jahren Rückläufig (insbesondere in Relation zum BIP). Wir leben umringt von freundlichen Staaten. Nicht so freundlich wie vor 10 Jahren aber WEIT freundlicher als vor 100 Jahren. Und weit freundlicher als die Beziehungen des Rests der Welt zu seinen Nachbarn. Wir sind weiterhin in vielen Bereichen in der Weltspitze und ob diese so bald zu Grunde gehen werden wie manche prophezeien sei mal dahin gestellt - ich wage es zu bezweifeln.
Ich bin Touristiker von Beruf, daher bringe ich ein Beispiel aus meiner Branche. Der weltgrößte Touristikkonzern sitzt immer noch in Hannover - es ist die TUI.
Ein paar Zahlen:
- 70.000 MA
- 20 Mrd. Umsatz
- Umsatzwachstum: 8%
- Operatives Ergebnis: ~1,1 Mrd.
- Marktkapitalisierung: 5,5 Mrd.
Im Vergleich dazu mal Expedia:
- 24.500 MA
- 11,2 Mrd. Umsatz
- Umsatzwachstum: 11%
- Operatives Ergebnis: ~ 0,8 Mrd.
- Marktkapitalisierung: 15,16 Mrd.
Wieso genau ist Expedia 3 mal so viel wert wie die TUI?
Auch wenn ich hier wörtlich die Frage stelle suche ich hier keine Antwort darauf. Es ist nur ein Beispiel eines US-Tech Unternehmens im Vergleich zu einem klassischeren deutschen Konzern. Der deutsche Konzern verdient mehr, zahlt mehr Dividende, macht weitaus mehr Umsatz, hat eine weitaus gefestigtere Marktposition (Keine Sau interessiert es ob er bei booking oder Expedia bucht) usw. Trotzdem ist der US-Tech Konzern 3-mal so hoch bewertet.
So schlecht geht es uns nicht, im Gegenteil, es geht uns gut. Wir reden uns nur alles immer schlecht. Wir sind auch nicht in einem Abwärtstrend, im Gegenteil. Klar, Immobilien werden unbezahlbar aber ansonsten? Fahr das Auto das dein Vater vor 20 Jahren gefahren ist, kauf das selbe Telefon was er hatte, verzichte auf Dinge die damals keiner hatte und schon kommst du mit dem halben Gehalt aus.
Versteh mich nicht falsch, ich finde nicht alles roßig hier. Ich bin Liberal durch und durch, war ich schon immer und werd ich wohl auch immer bleiben. Von daher stimm ich deinem Fazit bezüglich der FPD absolut zu. Ich sehe den Liberalismus in Deutschland von drei Seiten gleichzeitig bedroht. Einem linken Mainstream der der Wirtschaft immer mehr Hürden in den Weg legt und gar stellenweise unser Wirtschafts- und Sozialsystem im Grundsatz bedroht (Siehe Berliner Diskussionen über Verstaatlichung von zig-tausenden Wohnungen usw). Dabei erkennt dieser Mainstream gar nicht, dass er die Wohnungsprobleme zu einem großen Teil selbst verursacht. Wer will denn in diesem Klima Mietwohnungen bauen? Baupreise steigen ins unermessliche durch immer mehr Auflagen aber keiner weiß ob er in den nächsten 20 Jahren Mieten erhöhen darf? Da müssen die Preise zwangsweise immer weiter steigen. Trotz dieser Probleme glaube ich nicht, dass wir bereits ein gefährliches Maß erreicht haben was den Einfluss von Links auf die Wirtschaft angeht. Wie gesagt geht es uns weiterhin gut. Wir können noch vernünftig werden. Und als wahrer Liberaler muss man auch die Errungenschaften "von Links" würdigen. Ich bin für die Homo-Ehe, ich bin für Gleichberechtigung (wobei wir auch hier daran sind weit über das Ziel hinaus zu schießen, denn gleiche Rechte heißt nicht gleich als Mensch sondern unterschiedliche Menschen mit gleichen Rechten), ich bin für die Legalisierung von Dr*gen usw. Trotz allen selbst gerade genannten Einschränkungen sehe ich wie gesagt aus dieser Richtung eine Bedrohung unseres Liberalismus, sogar die schärfste von allen dreien.
Die zweite Bedrohung ist die starke Einwanderung aus anti-liberalen Kulturkreisen. Spezifisch Nahost und Nordafrika. Prinzipiell bin ich sehr stark für Migration. Ich mag es, andere Kulturen um mich zu haben und ich verreise auch gerne. Ich bin aber auch der Meinung, dass grundsätzlich gegensätzliche Kulturen nur extrem schwer auf engen Raum miteinander leben können und dass das zu massiven Konflikten führt. Einwanderer aus Polen, Spanien, Japan oder Australien sind kein Problem. Massenhafte Migration aus Nahost ist für mich ein Problem. Das ist auch kein Ras*ismus, ich halte mich nicht für besser oder schlechter als andere Menschen und ich wünsche niemandem etwas schlechtes. Ich glaube nur, dass unsere Kulturkreise zu unterschiedlich sind. Und die genannten Kulturkreise wissen die Errungenschaften des Liberalismus nicht zu schätzen. Sie sind nicht damit aufgewachsen und fühlen sich von ihnen bedroht. Natürlich verallgemeinere ich hier massiv, auf die Mehrheit trifft es aber zu.
Die dritte Bedrohung kommt von einer rechten Gegenbewegung gegen die ersten beiden. Auch wenn ich die Beweggründe hinter dieser Bewegung (teilweise) verstehen kann so radikalisiert sich diese Gruppe in den vergangenen Jahren massiv. Das darf nicht toleriert werden. Die Gefahr die ich hier aber sehe ist, dass man die komplette Gruppe massiv ausgrenzt und ignoriert was am Ende nur zu weiterer Radikalisierung führen wird. Man sollte hier aber differenzierter rangehen und versuchen, die große Masse der Gemäßigten von der kleinen Gruppe der Radikalen zu entfremden. Man muss versuchen, deren Probleme zu verstehen und sie Ernst nehmen. Nur so kann man den Großteil dieser Menschen wieder für die Mitte der Gesellschaft gewinnen und weg vom radikalen Ende des politischen Spektrums führen. Das sehe ich aber nicht, stattdessen stellt sich der Mainstream als knallharte Front gegen Rechts auf (und damit meine ich explizit nicht nur Rechtsradikal, denn dann befürworte ich das). Gemäßigte Konservative werden dadurch aber nicht zurück gewonnen. Wie gesagt - differenzierter ran gehen.
Vor wenigen Jahren habe ich noch ein Interview mit Helmut Schmidt gesehen, der sich aus exakt den selben Gründen gegen massive Einwanderung aus Nahost ausgesprochen hat. Ein Kanzler der SPD - heutzutage selbst für CDUler undenkbar weil zu weit rechts.
Naja wie gesagt, ich bin seit jeher FDPler und werde es wohl auch bleiben. Das sind einfach die Gefahren für den europäischen, insbesondere den deutschen, aufgeklärten Liberalismus wie wir ihn kennen die ich sehe. Mit unserem Gesellschaftsmodell steht und fällt unsere Wirtschaft. Ich bin zwar etwas abgeschweift aber das ist für mich der entscheidende Punkt.
Wir müssen dem Markt den Freiraum lassen den er braucht, ohne dabei den Sozialstaat zu beerdigen. Dann wird es uns auch auf Dauer gut gehen so wie es uns heute gut geht. Ob wir nun in der einen oder anderen Technologie führend sind spielt nicht die große Rolle. Wichtig ist, dass wir unser grundlegendes Gesellschaftsmodell erhalten und pflegen (und natürlich auch weiterentwickeln und verbessern - denn besser geht immer).
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